Mittwoch, 15. November 2006

Wie kann es gehen? Praxisbeispiele und Vorschläge

WIR SIND WOANDERS - Zusammenfassung, Kongress-Tag Drei: „Strategien im selbstverwalteten Kunstbetrieb“

Von den Erfahrungen anderer lernen, Handlungsstrategien für die Zukunft an die Hand bekommen – zum Abschluss des Kongresses wird es konkret, geht es um Perspektiven. Den Auftakt an diesem Tag bilden zwei Vorträge von Gästen aus dem Ausland, die über ihre Erfahrungen mit Kunst- oder Kulturprojekten in selbstorganisierten bzw. selbstverwalteten Strukturen berichten. Es folgen zwei nun wieder theoretische Vorträge, die jedoch ganz auf die Praxis abzielen: Ein Vorschlag zur Neuorganisation von Kunst-Jurys und zuletzt Anregungen zu kritischen Vorüberlegungen bei der Einrichtung oder Neugründung einer Institution wie der geplanten Stiftung für die Freie Kunstszene Hamburgs.

Brett Bloom aus Chicago berichtete von seinen Erfahrungen mit der Praxis selbstorganisierter Initiativen. Grundlage des Ansatzes von Brett Bloom ist ein möglichst niedriger Organisationsgrad. Es gibt fast keine Regeln zur Nutzung der Ressourcen, wesentliches Organisationsinstrument ist ein gemeinsamer Kalender. Aufgrund dieses – erklärtermaßen anarchistischen – Ansatzes können Individuen oder Gruppen in den so geformten „Räumen“ selbstbestimmt und mit großer Freiheit agieren.

Erfahrungen mit einem Netzwerkprojekt zur Medien-Kunst in London beschreibt Saul Albert. Das Projekt mit dem Titel NODE.London war angelegt, öffentliche Aufmerksamkeit für Medien-Kunst in London herzustellen. Selbstorganisiert und mit offenen Strukturen richteten Gruppen, Einrichtungen und Institutionen aus den Bereichen Kunst und Neue Medien verschiedene Veranstaltungen und Kommunikationsplattformen aus. Als geradezu chaotisch beschreibt Saul Albert den Verlauf des Projektes – er spricht sogar von dessen Scheitern. Den Grund dafür sieht er in den weit auseinanderliegenden Interessen, Zielen oder zumindest Organisationsstrukturen der beteiligten Einrichtungen (von der öffentlichen Tate Britain bis zu unabhängigen „Off“-Projekten).

Michael Lingner beschäftigt sich mit der Kunst- und im engeren Sinne der Künstler-Förderung. Als geradezu verkommen beschreibt er die übliche Jurierungspraxis bei Ausschreibungen, Wettbewerben und Stipendienvergabe. Dem setzt er ein Modell öffentlicher, transparenter und diskursiver Auswahlverfahren unter Beteiligung der Künstler – als Experten in eigener Sache – entgegen. Ergeben könnte sich daraus eine wirkliche Weiterentwicklung der Kunst, weg von der Musealisierung.

Mit Institutionskritik befasst sich Gerald Raunig. Er sieht einen neuen Bedarf an derartiger Kritik und plädiert – mit Michel Foucault – für eine Flucht aus den Institutionen. Die Kunst habe so die Chance, sich Freiheiten (zurück-) zu erobern. Er spricht sich dafür aus, bei Neueinrichtung von Institutionen – wie der geplanten Stiftung für die Hamburger Off-Kunst – diese von vornherein so zu gestalten, dass sich dort keine dauerhaften Strukturen entwickeln können.

In der Podiumsdiskussion entwickelt sich eine Debatte zu den konkreten Perspektiven der geplanten Stiftung. Auf dem Podium und vereinzelt im Publikum werden verschiedene Bedenken geäußert. Gerald Raunig sieht als stärkste Gefahr die gewissermaßen freiwillige Neoliberalisierung: Die Künstler entlassen staatliche Einrichtungen aus ihrer Pflicht, indem sie deren Aufgaben selbst übernehmen. Raunig regt an, Alternativmodelle der Selbstorganisation wie Genossenschaften zu prüfen. Auch Michael Lingner fragt nach Alternativen zur Stiftung und weist auf die Notwendigkeit hin, die Stiftungssatzung so zu konstruieren, dass sich die Geldinteressen (Interessen der Stifter, Zustifter und Spender) nicht gegen die Kunstinteressen durchsetzen.

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Perlen im Schrott

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